Vor meinem Katzenpsychologie-Studium habe ich unter anderem Europäische Ethnologie studiert. Das lässt sich grob in Volkskunde übersetzen und damit ist gemeint, dass wir uns mit der Geschichte und Gegenwart von Erscheinungen wie z. B. Ritualen der menschlichen Alltags- und Populärkultur beschäftigen. Und was hat das jetzt mit Katzen zu tun? Eine ganze Menge! Denn auch wie wir mit unseren Haustieren umgehen, ist durch unsere Kultur geprägt. Es ist nichts Vorgegebenes oder Natürliches, wie wir sie behandeln, sondern wir haben es durch unser Aufwachsen in unserer Kultur erlernt. Das bedeutet, dass wir es auch hinterfragen und ändern können.
Während meiner Kindheit auf dem platten Land hatten Katzen bei den meisten Menschen keinen großen Stellenwert, auch in meiner eigenen Familie nicht. Für sie wurde nur das Nötigste (und noch nicht mal das) ausgegeben und wenn sie verschwunden waren, gab es kostenlos Nachschub von einem Bauernhof, der froh war, den Nachwuchs der unkastrierten Kätzin loszuwerden. Das hat sich leider noch nicht überall im Sinne der Katzen geändert, aber immerhin hat eine Entwicklung stattgefunden, dass Haustieren wie Hunde und Katzen eine größere Wertigkeit gegeben wird.
Katzen im speziellen haben noch ein weiteres Erbe, das sie nicht so leicht loszuwerden scheinen. Wir schreiben ihnen zu, dass sie eigensinnig, nicht erziehbar und nicht zu beeinflussen seien. In unserer Kultur ist immer noch dieses ursprüngliche Zusammenleben verankert, bei dem die Katze draußen ihrer Wege geht und nur für das warme Plätzchen am Ofen oder für das Futter nach Hause kommt. Das entspricht bei vielen Haltungshaushalten bei weitem nicht mehr der Realität. Viele Katzen wohnen jetzt in Wohnungen in der Stadt ohne Zugang nach draußen, weil das viel zu gefährlich wäre. Sie sind daher viel enger an uns gebunden und viel abhängiger von uns. Aber durch dieses veraltete Bild, das wir immer noch haben, meinen wir, sie könnten auch in der Wohnung frei, selbstbestimmt und unabhängig leben. Das ist meiner Meinung nach ein großes, fest in unserem kulturellen Verständnis von Katzen verhaftetes Missverständnis.
Dadurch, dass wir der Katze in der Wohnung die Möglichkeit nehmen, selbständig zu jagen, Beziehungen oder Feindschaften zu anderen Katzen zu pflegen und das Revier, das sie erkunden kann, wesentlich kleiner ist, bleiben nur wir. Wir sind der Dreh- und Angelpunkt in ihrem Leben, Bezugsperson, Spielgefährte, Futterlieferant und Entertainer. Das ist keineswegs schlimm. Auch eine Katze ohne Freigang kann ein glückliches und zufriedenes Leben führen. Die enge Beziehung zwischen Mensch und Katze kann für beide Seiten sehr erfüllend sein. Aber: Unser kulturell geprägtes Bild der Katze, die so nebenherläuft, um die wir uns nicht kümmern müssen, passt nicht mehr! Dessen müssen wir uns bewusst werden.
Es ist daher Zeit für ein neues Bild der Katze in unserem kulturellen Bewusstsein! Ich weiß, dass viele meiner Klientinnen und Klienten dieses neue Bild bereits leben. Lasst uns gemeinsam daran arbeiten, dass es sich durchsetzt und dass sich niemand mehr für eine Katze entscheidet, weil sie so schön pflegeleicht ist und eh ihr eigenes Ding macht. Denn das ist nur ein kulturell geprägter Mythos.
Liebe Kerstin,
du hast es wieder auf den Punkt gebracht. 🙂 Danke!